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Ihr als Partner im Norden und wir als Partner im Süden teilen für die erste Hälfte des Jahres 2020 eine durchaus vergleichbare Erfahrung, die mit dem englischen Begriff ‘Lock down’ bezeichnet wurde und die wir ins Deutsche mit ‘Abriegeln, Dichtmachen’ übersetzen können.
Bei uns zeichnete sich das ‘Abriegeln, Dichtmachen’ schon früher ab als bei Euch in Europa und es hatte auch nicht den Versuch die weltweite Ausbreitung eines Virus einzudämmen zum Ziel, sondern entstand durch eine hier jedes Jahr, wenn auch alljährlich in verschiedener Ausgeprägtheit wiederkehrende Naturerscheinung, nämlich in Form der die Regenzeit bestimmenden massiven und anhaltenden Niederschlagsmengen. Das Besondere bei dem diesjährigen Ereignis war, dass die kleine Regenzeit, die von Ende Oktober bis etwa Anfang Mitte Januar mit vergleichsweise geringen Regenfällen andauert und den Menschen hier von Ende Januar und den Monat Februar hindurch bis Anfang März Gelegenheit zur Aussaat des von der letzten Ernte zurückbehaltenen Reises gibt, sich im aktuellen Jahr keinem Ende zuneigte. Es regnete ununterbrochen von Oktober 2019 bis Mitte Juni 2020.
Bemerkenswert ist, dass in jedem Jahr wesentliche Teile der Infrastruktur einschliesslich Wegen, Brücken, als Drainagen angelegte Gräben und Wege unterführende Abflussröhren zwischen Lugala und Ifakara weggeschwemmt, ja Flut-Turbulenz-bedingt förmlich weggerissen werden, dass das Verteilungsmuster der Schäden aber zumindest in den letzten 11 Jahren, die ich übersehen kann, stets ein anderes war. Und so ist es im Jahr 2020 zum ersten Mal gewesen, dass von Lugala aus alle drei Wege nach Ifakara und auch der einzige in die entgegengesetzte Richtung, nämlich in den Nachbarort Igawa führende, schlichtweg abgebrochen waren. Der Aktionsradius des Krankenhauses beschränkte sich über Monate auf 1.2 km.
Man konnte, sofern man wollte und die augenblickliche Strömung nicht zu stark war, diese Stellen mit dem Einbaum überwinden. Nach etwa zwei Monaten begannen dann Menschen aus den benachbarten Dörfern Fussstege aus Bambus zu bauen und kassierten Brückengeld.
Seit etwa vier Wochen hat es nur noch einmal sporadisch geregnet, das Wasser weicht, aber nur langsam. Zumindest kann eine Stelle Richtung Ifakara jetzt mit dem allradgetriebenen Fahrzeug passiert werden, wobei dieses allerdings bisweilen immer noch über zirka 30 Meter von einem Traktor durch einen neuentstandenen Fluss gezogen werden muss. An manchen Tagen, wenn wieder einmal ein Traktor mit einem überladenen Anhänger versucht hat die Stelle zu passieren, aber hoffnungslos stecken geblieben ist, kann es wiederum ein bis zwei Tage dauern bis der blockierte Weg frei ist.
Wir sind über Spenden für die Ärmsten in Lugala sehr dankbar. Die Mittel fließen in den so genannten Armenfonds. Daraus werden die Behandlungskosten für die Menschen bezahlt, die nichts mehr haben, aber dringend medizinisch versorgt werde müssen. Staatliche Hilfe gibt es in diesen Fällen nicht. Es handelt sich um eine reine Nothilfe, aus humani-tärem Verständnis heraus, wie es uns das Gleichnis vom barmherzigen Samariter vor Augen führt. Zu solcher Hilfe für Menschen in allergrösster Not, die durch die Flut und ihre im Wasser stehen-den Hütten, noch einmal härter betroffen sind, werden die Spende verwendet.
Auch die medizinische Hilfe für die Kinder wie Bruno wird aus diesem Fonds finanziert.
Bruno ist 2 Jahre alt und wiegt 5.9 kg. Bruno hat eine Cerebralparese (Sauerstoffmangel unter der Geburt mit bleibendem Hirnschaden), Bruno ist ein sehr freundliches Kind, kann aber weder stehen noch gehen und die wesentlichste Äusserung, zu der er in der Lage ist, ein Grimassieren mit weit geöffnetem Mund, das sich in etwa 15 – 30 Sekunden wiederholt.
Die Mutter ist eine psychiatrische Patientin und wieder im etwa achten Monat schwanger (einen Vater gibt es selbstverständlich nicht zum Kind), sie ist von Dörflern zu uns gebracht worden, weil sie obdachlos mit dem Kind im Dorf herumirrte.
Es gibt noch eine Grossmutter, die aber komplett gehörlos ist.
Als ich heute Morgen aus dem Haus gehen wollte, kam Joram, unser gerade mal zwei Jahre alter Sohn, aus dem Schlafzimmer, hielt, wie üblich, seine halbvolle Nuckelflasche nur mit dem Nuckel im rechten Mundwinkel fest, so dass sie, ebenfalls wie üblich, hin- und her schwankte, ging wippend durch den Raum und aus seiner freien linken Mundhälfte tönte es rhythmisch: ‘Corona, Corona, Corona’.
Vor dem Haus traf ich einen Nachbarjungen, der etwa vier Jahre alt ist und der dort mit einem weiteren Jungen, der zwei oder drei Jahre alt sein dürfte, stand und ich hörte den grösseren Jungen zu dem kleineren sagen: ‘Unafaham Corona?’ (‘Kennst du Corona?’).
Im Malinyi Distrikt, für den das Lugala Spital das Referenzhospital ist, sind etwa 60% der Bevölkerung illiterat (dieser Begriff hat die alte Bezeichnung ‘Analphabeten’ ersetzt) und von denen, die sagen, dass sie lesen und schreiben können, können viele lediglich ihren Vornamen in grossen Frakturbuchstaben mühsam aufs Papier bringen. Gleichwohl, nicht nur die Kinder, auch der letzte illiterate Mensch in der ländlichen und armen Peripherie des Distrikts kennt vermutlich das Wort ‘Corona’ (von ‘Virus’ spricht niemand), obwohl selbstverständlich keiner diesen Nanopartikel an der Grenze zwischen belebter und unbelebter Natur biologisch oder in seinem medizinischen Aspekt oder in seiner letztendlichen Bedeutung als Pandemie einzuschätzen vermag. Einen solch kometenhaft erfolgten Bekanntheitsgrad wie ‘Corona’ haben hier seinerzeit nicht einmal Messi oder Ronaldo für sich in Anspruch nehmen können.
Die Menschen hier fürchten zurzeit wohl nichts mehr als ‘Corona’. Ob nun aber ‘Corona’ wirklich die grösste Herausforderung dieses Kontinents ist, möchte ich dahingestellt sein lassen.
Dagegen nimmt die Bevölkerung hier die Überschwemmungen, die uns nun seit beinahe zwei Monaten von der Aussenwelt abschnüren, mit frappierendem Stoizismus, mit schicksalhafter Ergebenheit und Gelassenheit gegenüber dem Unabwendbaren, man muss sagen: mit dem hinreichend bekannten Fatalismus. Es handelt sich um ein Ereignis, das man, wenn auch nicht unbedingt im jetzigen Ausmass, aber im Grunde immerhin gewohnt ist. Dabei fällt dieses Jahr, wie schon einmal ein Jahr vor vier Jahren, aus dem Rahmen des zu Erwartenden. Der grosse Regen setzte ungewöhnlich früh ein, noch bevor die Menschen aussäen konnten und fortan regnete es über Wochen und ohne Unterlass und das Wasser stieg und stieg, so dass wir beispielsweise ums Spital herum letztlich einen Aktionsradius von maximal 1.2 km hatten und noch bis heute haben. Die Hauptstrasse nach Ifakara ist unpassierbar, die in die umliegenden Dörfer führenden Pisten und Wege sind sämtlich weggeschwemmt, die Brücken alle weggerissen, die erst im letzten Jahr angelegten Drainagesysteme durch die Strömung des von allen Seiten hereinbrechenden Wassers davongetragen. Die dörflichen Habitate aus Lehmwänden und Stroh- oder Wellblechdächern stehen im Wasser, Kinder sind ertrunken und unsere Projektmitarbeiter waten morgens bis zu den Knien durchs Wasser zum SolidarMed-Büro und genauso abends wieder nach Hause.
Die Situation hat, obwohl ihr mit solch bewundernswerter Ruhe begegnet wird, einen nicht unerheblichen Einfluss auf das Leben der Menschen und vor allen Dingen auf ihre Ernährungslage. Hier im Kilomberotal ist Reis das Grundnahrungsmittel. Es gibt keine Terrassen für Reisanbau wie in Asien und es werden auch nicht in unermüdlicher Kleinarbeit Pflänzchen gesetzt. Das tief gelegene und weite Flusstal wird jährlich in der grossen Regenzeit, die etwa von Februar bis Mai dauert, überschwemmt, und die Menschen säen, bevor der Regen einsetzt, aus der letzten Ernte zurückbehaltenen Reis aus. Nur, wie gesagt, in diesem Jahr, wie schon einmal zuvor, setzte der Regen vor aller Erwartung ein und gegen alle Erwartung hörte er auch wochenlang nicht auf. Somit war der Mais ohnehin nicht mehr zu retten und der Reis konnte nicht auf den Weg gebracht werden.
Die Situation wird zu einer Verschlimmerung der chronischen Mangelernährung führen. Chronische Mangelernährung, die auf beinahe ausschliesslich aus Kohlenhydraten zusammengesetzte, nicht diversifizierte, eben sehr einseitige Ernährung zurückzuführen ist, betrifft bereits 48% der tansanischen Bevölkerung. Sie drückt sich nicht in aufgetriebenen kindlichen Hungerbäuchen aus, wie wir sie aus Biafra oder Darfur kennen, sondern in einer Retardierung des Wachstums: die Menschen behalten eine kleine Körperstatur. Hinzu kommt, dass der Verdauungstrakt insbesondere der Kinder von Würmern und anderen Darmparasiten befallen ist und dass wiederum insbesondere die Kinder, aber auch die schwangeren Frauen unter Blutarmut leiden - abgesehen von sporadisch hinzukommenden Krankheiten wie Malaria und Atemwegs- und akuten bakteriellen Darminfekten. All das führt zu chronischer körperlicher Schwäche und eingeschränktem Wachstum der Kinder und schlechten schulischen Leistungen.
Der Unterschied in der Wahrnehmung von ‘Corona’ auf der einen und der allgemeinen Armut und ständig bedrohten und chronisch eingeschränkten Gesundheit auf der anderen Seite dürfte sein, dass die Menschen in Armut gross geworden sind und in Armut leben und die ihnen bekannten Krankheiten wie z.B. Malaria zu ihrem Leben gehören und sie ihnen deshalb mit der ihnen üblichen Gelassenheit begegnen, während ‘Corona’ als eine unbekannte von aussen kommende Gefahr bedrohenden und nicht einschätzbaren Ausmasses angesehen wird.
Lugala, März 2020
Dr. Peter Hellmold
Im Flußtal des Kilombero, einer schwer zugänglichen Gegend, wurde von der lutherischen Kirche Dänemark nach dem zweiten Weltkrieg das Lutherische Lugala-Hospital aufgebaut. Es gehört zur Lutherischen Kirche Tansanias. Seit Anfang der Achtziger Jahre besteht eine Partnerschaft zu diesem Krankenhaus, die vom Paul-Gerhardt-Stift in Wittenberg, dem Kirchenkreis Jessen (ab 1999 Wittenberg) und dem Kirchenkreis Sangerhausen getragen wird.
Während sich die dänische Kirche für die Erneuerung der Gebäude einsetzt, sehen deutsche Partner ihre Aufgaben darin, mit Medikamenten, Verbandsmaterial, medizinischen Geräten zu helfen, sowie Beihilfen zum Gehalt der Mitarbeiter aufzubringen. Ein bedeutendes Projekt ist die Stromversorgung durch Solaranlagen, die nach und nach aufgebaut werden.
Wichtig für die Partnerschaft sind die persönlichen Einsätze. 1990 knnte Dr. Burkhard Schulze aus Wittenberg als erster deutscher Arzt seinen Dienst in Lugala aufnehmen. 1994 reiste Dr. Michael Hable mit seiner Familie nach Lugala. 1998 wurde Dr. Stephan Großer aus Brücken beauftragt, im Lugala-Hospital zu arbeiten.
Das Krankenhaus versorgt einen Bezirk von 140 km im Durchmesser. Die nächste größere Stadt mit medizinischer Versorgung ist 150 km entfernt. Im Durchschnitt müssen die Patienten vier Stunden zum Krankenhaus laufen, einige sind aber auch ein oder zwei Tage unterwegs. Rund 100.000 Menschen leben im Einzugsbereich des Hospitals.
Die medizinische Betreuung der Bevölkerung geschieht nicht nur im Hospital, sondern einige Mitarbeiter besuchen regelmäßig die weit entfernten Dörfer. Dem Chefarzt Dr. Kivambe als einzigem afrikanischen Arzt und Dr. Großer stehen gut ausgebildete Fachkräfte zur Seite. Im Krankenhaus werden jährlich etwa 15.000 Menschen ambulant behandelt. Es gibt eine Frauenstation, wo auch Mütter mit kranken Kindern aufgenommen werden, eine Männerstation und die Wochenstation, insgesamt etwa 100 Betten. Die Patienten müssen immer von Verwandten begleitet werden, die fürs Essen sorgen. Für sie wurde ein Haus gebaut, in dem sie kochen, waschen und übernachten können.
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