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Jesus Christus spricht:
“Ich bin im Gefängnis gewesen,
und ihr seid zu mir gekommen.“ Mt 25,36
In diesem Auftrag Jesu also gehe ich ins Gefängnis! Begleitet von der Garantie der Verfassung sowie des staatlichen Rechts, versehe ich diesen Dienst als Seelsorger in der JVA Volkstedt. Seit jeher gehört es zum diakonischen Wesen der Kirche, Menschen durch ihr Leben zu begleiten. Ihnen beizustehen in Höhen und Tiefen, in hellen und traurigen Stunden, einfach dazusein in Grenzsituationen des Lebens. Eine solche Extremsituation kann die Inhaftierung für einen Menschen bedeuten. Von daher gehört es erst recht zur Würde eines jeden, Seelsorge auch in solchen Ausnahmesituationen in Anspruch zu nehmen. Dabei stehen die Gespräche, die wir führen, unter dem Schutz des Seelsorge- und Beichtgeheimnisses und sind unverbrüchlich vertraulich.
In meiner Arbeit als Gefängnisseelsorger begegne ich Menschen, die bewusst und spürbar vom höchsten Gut eines Menschen getrennt sind: der Freiheit. Sie verbringen teilweise erheblich gesichert, räumlich eng begrenzt und kontrolliert ihre vom Gesetz bemessene Strafzeit. Dabei unterliegen sie dem vom Resozialisierungsgedanken geprägten Vollzugsziel, künftig ein Leben ohne Straftaten zu führen. Dennoch haben es Inhaftierte manchmal schwer, das Schuldhafte ihres Handelns einzusehen und auch ihre Opfer in den Blick zu nehmen. Oft sind sie selbst in ihren lebensgeschichtlichen, (sub)-kulturellen und familiären Lebensbezügen zu Opfern geworden. Dessen ungeachtet muss aber eine Unterscheidung zwischen „Vergehen“ und „Verbrechen“ vorgenommen werden. Bei einem „Vergehen“ kann es unter bestimmten Umständen möglich werden, dass Schaden und Schmerz wieder „vergehen“ und wieder gutgemacht werden können. Bei einem Verbrechen andererseits ist tatsächlich etwas „zerbrochen“, das nicht so leicht oder gar nicht wieder gutgemacht, nicht mehr heilbar ist. Das Erschrecken über solche Straftaten geht tief.
Als Christ bin ich überzeugt: Gott steht auf der Seite der Opfer. Es geht gegen seinen Schöpfungsplan und gegen das biblische Zeugnis, dass Sünde und Schuld, Verbrechen und Vergehen ungesühnt bleiben. Einen solchen Weg der Sühne beschreibt die Denkschrift der EKD als „Tor zur Versöhnung“, unter dem Gott Schuld vergibt und Wege zur Umkehr öffnet. Das heißt aber nicht, dass ein solcher Weg an Strafe vorbeiführt. Die Schuld der Täter darf nicht verharmlost werden!
Dabei gilt es für mich aber ebenso, ein theologisches Gespür dafür zu bewahren, dass der Gefangene und ich dann doch gemeinsam vor der unbegreiflichen Gnade Gottes stehen, die für uns alle gilt. Jeder steht zwar auf seiner Seite, mit seiner eigenen Biographie, mit seinen schuldhaften Anteilen, aber dennoch gemeinsam verwiesen auf einen gnädigen Größeren außerhalb unserer selbst, der uns unsere je eigene rechtfertigende Würde zuspricht. Mit dieser göttlichen Ermutigung ist straffällig gewordenen Menschen manchmal eine ehrliche Selbstbesinnung möglich. Eine solche Auseinandersetzung mit ihrer Tat kann in eine Verantwortungsübernahme münden, aus der heraus suchende und tastende Schritte aus Sucht und Gewalt, Betrug und Dissozialität zu finden möglich werden. Für Menschen sind solche schonungslosen Prozesse des Selbsterkennens meist sehr schmerzhaft. In diesem Sinne stehe ich in meinem pastoralen Handeln auch gegen ein plattes, mediales Vergeltungsdenken, das Menschen leichtfertig zu Sündenböcken stempelt und Ausgrenzung sanktioniert.
Hier, in der JVA Volkstedt, verwirklichen ca. 220 Männer in der Regel ab dem 21. Lebensjahr bis zu 2 ½ Jahre ihre Haftstrafen für jegliche Form von krimineller Delinquenz. Ich begleitet sie - auch oft ihre Angehörigen - für diesen Abschnitt ihres Lebens. Um diese Lebensetappe sinnstiftend zu füllen, unterbreite ich regelmäßig geistlich-religiöse bzw. religionspädagogische Angebote (wie z.B. Gottesdienste, Andachten, Bibel- und Gesprächskreise, Buch- und CD-Ausleihe, Filmclub: „Se(e)hen und Me(e)hr“ oder ähnliche gruppendynamische Veranstaltungen), zu denen jeder Inhaftierte über einen Antrag Zugang hat. Dabei ist eine klassische Kirchenmitgliedschaft selten. Aber gerade in diesen Gruppen von „religionslosen Menschen„ erlebe ich manchmal Momente von zweckfreier Gemeinschaft und brüderlichem Zusammensein.
Vor allem in ständigen und zeitintensiven Einzelgesprächen und Kriseninterventionen erfahre ich es immer wieder, dass inhaftierte Menschen durch dieses Zuwenden förderliche Erfahrungen an Leib, Geist und Seele sammeln. Ich kann beobachte, wie ihnen neuer Lebenssinn, Selbstwert und neues Selbstvertrauen zuwachen. Aus solchen geglückten und „geschenkten“ Begegnungen können sich dann neue Perspektiven und Handlungsalternativen für eine straffreie Zukunft entwickeln. Aber nicht nur für die Gefangenen bin ich ein Gesprächspartner, sondern auch für die Bediensteten der JVA. Dabei arbeite ich mit allen Fachdiensten zusammen und begleite deren Arbeit freundlich, kritisch und konstruktiv.
Das bedeutet aber auch, dass ich beiden Seiten zu unverbrüchlicher Wahrung der seelsorgerlichen Verschwiegenheit und des Beichtgeheimnisses verpflichtet, zugleich durch das Zeugnisverweigerungsrecht für Geistliche geschützt bin.
Dankbar bin ich für den Rückhalt in den Strukturen des Kirchenkreises Eisleben - Sömmerda, für die Begleitung durch das Fachreferat „Spezialseelsorge“ der EKM und ebenso für die Einbindung in die Bundeskonferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland. Ohne diese Unterstützung wäre meine Seelsorgearbeit schwer realisierbar. So versuche ich, aus der abgeschlossenen Welt des Gefängnisses hinein in Kirche und Gesellschaft Brücken zu schlagen. Dabei sehe ich mich oft für mein Eintreten und Hinwenden zu den Ein- und Ausgeschlossenen, stellvertretend für diese, beidseitiger Kritik ausgesetzt. Grundsätzlich aber gehe ich als Christ davon aus, dass am ehesten mit einem Versöhnungsprozess dem Ziel des Wiederherstellens von Recht und Gerechtigkeit gedient werden kann.
Darum benötigen die Gefängnisseelsorge in Deutschland und ich, in der JVA Volkstedt, im Besonderen:
In diesem Sinne nehme ich das Wort Jesu ernst:
„Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern (Schwestern), das habt ihr mir getan“.
Mt 25, 40
Herzlichen Dank für Ihre Zeit beim Lesen und Ihr Interesse!
Für die evangelische Gefängnisseelsorge
in der JVA Volkstedt:
Pfr. Steffen Richter
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